Selig lächelndes Frauengesicht mit Blogtitel drauf.
Kulturpessimismus inside.

Freitag, 3. Juli 2009

Ina kracht

Gibt es Anarchie im Fernsehen? Wenn ja, wo?
Wenn man sich so auf YouTube umschaut, wird man feststellen, dass das Programm der damals jungen Privatsender in den 80ern und frühen 90ern reine Anarchie war. Man traute sich alles und wagte sich daran, das für Privatanbieter neue Medium Fernsehen auszutesten und die Grenzen abzuschreiten. Nach dem Motto:
Wo ist es noch massenkompatibel, und wo stößt es schon an?

Dann gab es eine kurze Zeit die famose Talkshow TALK2000 mit dem Aktionskünstler Christoph Schlingensief. Keine Struktur, kein Thema, Trash-Gäste, Prügeleien mit dem Publikum, verwackelte Kamerabilder. Die Sendung, die es natürlich nur auf eine beschissene Quote brachte, lief im Nachtprogramm bei VOX, war Kult und hatte ein Format, was so nie wieder erreicht wurde. War das echt? War das Fake? War das Satire? Anscheinend nicht. Schlingensief ging manchmal so rüde mit seinen Gästen um und stellte sie als derart dumm dar, dass eine Anzeige vom Gast oft der Normalfall war.
2000 kam die Chaos-Zeit auf den Musiksendern. Viva Zwei sendete die Low-Budget-Puppenkiste Zwobot, die daraus bestand, dass ein missmutiger Mikrofonschoner alles scheiße fand. MTV sendete Unter Ulmen, wo es Rubriken wie Der Aussenseiter gab. Zuschauer wurden die gesamte Sendung lang live gefilmt, wie sie einen Joghurt aßen und einsam in ihrer Stube hockten. Auch Christoph Schlingensief machte U3000 zum Knüller, eine Live-Show aus der Berliner U-Bahnen, wo Kuscheltiere direkt neben den Insassen enthauptet wurden und Stars entscheiden mussten, welche Familie das schlimmere Schicksal zu erleiden hat. Schlingensief trat als Prediger auf und die Gäste mussten immer wieder mit "Halleluja! HALLELUJA!!!" antworten. 2002 probierte Viva mit Freakstars3000 noch einmal Anarchie, als Schlingensief eine Talentshow mit Behinderten sendete, die ähnlich bizarr war. Fast alles, was ich hier beschrieb, lässt sich auf YouTube finden.

Dann gab es eine lange Zeit nichts Spektakuläres, Wildes.
Das Privatfernsehen hat an Krisen zu knabbern und die Öffentlich-Rechtlichen sind reformmüde geworden. Von ihnen hätte man nie erwartet, dass sie sich noch Innovation trauen würden.

Dass es gerade der NDR ist, der sich diese Innovation traut, hätte erst recht keiner geglaubt. Doch dann stellte der NDR 2007 das Format "Inas Nacht" ein. Der Inhalt dieser unkonventionellen Late-Night-Show ist eigentlich (eigentlich!!!) schnell beschrieben: Die Moderatorin Ina Müller besucht ihre Stammkneipe in Hamburg, trinkt ein wenig, plaudert mit Gästen, lädt sich gute Musiker ein, trinkt noch ein wenig, die Gäste dürfen dann auch Fragen an den Gast stellen, dann wird noch ein wenig getrunken, am Ende haben alle gute Laune.

Das Interessante an der Show ist, dass "Inas Nacht" weder provozieren will noch unterhalten. Die Show lebt einfach an der guten Laune von Ina Müller und ihrer Natürlichkeit. Man stelle sich das Format mal mit Anne Will vor - holla, die Waldfee! Das wär ein Griff ins Klo!

Das Format bekam auch den Deutschen Fernsehpreis und den hat es auch verdient! Ina Müller sprach in Ihrer Dankesrede davon, dass sie doch eigentlich gar nichts Großes macht. Sie geht aus, trinkt und tratscht und das sei es eigentlich gewesen. Aber es sind diese kleinen Nuancen, die die Show ausmachen. Die Gäste werden nicht bloßgestellt und auch nicht vertüdelt. Alle in der Show müssen natürlich sein. Und sie sind es. Die Atmosphäre lockert auf, auch vor den Bildschirmen.

Inas Nacht, von Freitag auf Samstag, 0.00 Uhr, NDR

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