Selig lächelndes Frauengesicht mit Blogtitel drauf.
Kulturpessimismus inside.

Dienstag, 7. Juli 2009

Noch ein Post über Bodo Thiesen

Wer ist Bodo Thiesen?
Ist Bodo Thiesen ein engagierter Pirat, der seit Sonntag ein wichtiges Amt im Nationalorgan der Partei bekleidet?
Oder ist er ein rechtsreaktionärer, holocaustleugnender Geschichtsrevisionist?
Über diese Frage zerbrechen sich tausende von Blogs nun den Kopf.

Die Piratenpartei verweigere sich der Schubladen "links" und "rechts". Das wirkt natürlich wie ein offenes Scheunentor für politische Extreme. "He, Sie sind aber Nazi und nicht Pirat!" - "Ja, aber Sie können mir nichts! Die Piraten sind nämlich nicht rechts!"

Inzwischen hat man sich daran erinnert, dass es sowas Ähnliches schon damals gab, als die Grünen gegründet wurden. Die damals noch reichlich verfilzte Öko-Ideologie und -Parteistruktur wurde von Nazis unterwandert, entweder um die Partei zu infiltrieren oder um die Partei für ihre Zwecke zu "missbrauchen".

Das altbekannte Dilemma: "Wir sind gegen Zensur, aber wie sollen wie Holocaustleugnung und Nazirelativierung tolerieren? Diese Meinungen zu verbieten, ist ja nicht drin!" Damit haben sich schon viele Gerichte beschäftigt, deren Urteile sich darauf bezogen, dass der Punkt "Meinungsfreiheit" in diesem extremen Punkt "Holocaustleugnung" oder Hitlerismus teilweise nicht mehr gilt.

Dieses Urteil finde ich richtig.
Nazi-Scheiße darf man nicht tolerieren.

Twitterati und Blogautor mrgamewatch fordert prägnant zwei Punkte: Aufklärung und Distanzierung.

1. Bodo Thießen sollte klar Stellung beziehen zu seinen Aussagen, zum Holocaust und zu seiner Ansicht über die Piratenpartei.
2. Die Piratenpartei sollte klar Stellung beziehen zum Holocaust, zur Meinungsfreiheit im Allgemeinen und Speziellen, zu Bodo Thießens Platz in der Partei und zu möglichen Bindungen mit rechts- und linksradikalen Parteien nach der Wahl
Zwei fast identische Forderungen, zwei überhaupt nicht identische Addressaten. Das macht es so schwierig.

Die Piratenpartei ist noch jung. Und sie ist anscheinend leicht überfordert - soviele Anhänger in so wenigen Monaten - das muss erst mal verwaltet, bewältigt, organisiert werden.
Der Piraten-Bundesparteitag war wirklich ein wenig verzettelt, chaotisch und verwirrend.
"Sympathisch!", sagen die einen.
"Unprofessionell!", sagen die anderen.
Es ist wohl eine Mischung aus beidem.

Bei Bodo Thiesen ist es auch eine Mischung.
Eine Mischung aus unsympathisch (Thiesen) und unprofessionell (Piratenpartei).
Die Piratenpartei muss nun diese Konzeptfehler ausbügeln, aber flott! flott! und erst recht ihre Position bzgl. Thiesen verdeutlichen. Ob dann aber noch Zeit für den Bundeswahlkampf bleibt, ist fraglich.

Montag, 6. Juli 2009

Die Verlogenheit der 68er bei den Teheran-Protesten

Wenn man als Deutscher an das Jahr 1968 denkt, fallen einem sicher schnell die Studentenunruhen ein. Die 68er-Bewegung verstand sich als Abschaffung von rechtskonservativem Muff, der restlosen Aufklärung der Schuldfrage bei der NS-Zeit, Erprobung alternativer Lebensweisen.

Die 68er haben vieles richtig gemacht - leider haben sie auch viel falsch gemacht.
Leider liegt ihr letzter Fehler nicht weit zurück.
Um genau zu sein - erst vor ein paar Wochen.

1967 besuchte der Schah von Persien Berlin. Die 68er (die damals freilich noch nicht 68er genannt wurden) fanden das fürchterlich (zu den genauen geschichtlichen Gründen möchte ich hier keinen Roman schreiben, da muss die Wikipedia mal helfen). Im Laufe der Demonstration wurde auch Benno Ohnesorg erschossen, was zweifelsfrei die Stimmung der Studenten verschlechterte, so dass die Situation auch dann eskalierte.

Nun, 42 Jahre später, gab es Wahlen im Iran. Mussawi gegen Ahmadineschad. Wandel gegen Stagnation. Gut gegen Böse? Ja, auch das.
Natürlich gewann Ahmadineschad. Und natürlich war die Wahl gefälscht.

Fühlen sich dennoch 20 Altlinke dazu verpflichtet, einen Pathos heuchelnden, offenen Brief an die Bevölkerung des Irans zu schreiben? Was soll der Unsinn? Das Titanic-Magazin denkt womöglich dasselbe, zumindest schreibt es: ...

wenn eine selbstverliebte Solidaritätsbekundung gebrechlicher deutscher Revolutionsversager den Demonstranten im Iran natürlich deutlich Auftrieb geben wird, die mehrheitlich nach 1967 geboren und an Details der deutschen Geschichte uninteressiert sein dürften...



Und damit ist auch alles gesagt! Die Teheraner brauchen euch nicht, liebe 20 Unterzeichner (zu dem unter anderem Bommi Baumann oder Christian Ströbele gehören). Eure um Publicity heischende ("Hey, wir sind alt, aber wir habens dennoch drauf! Und das sogar weltpolitisch!") Ansage interessiert die Teheraner Bevölkerung ziemlich wenig.

Was kümmert es das Volk, wenn im weit fernen Berlin sich Menschen zusammenfinden, die vor vierzig Jahren den Aufstand geprobt haben, sich dabei mehr oder weniger selbst demontiert haben, und diese Menschen nun einen albernen Brief schreiben?
Am 2. Juni 1967 demonstrierten vor der Deutschen Oper Berlin Tausende gegen den Besuch des Schah in der Bundesrepublik und Westberlin. Sie solidarisierten sich mit dem Kampf des iranischen Volkes für Freiheit und Demokratie.
Wie toll! Aber bei euch wurde nicht geschossen! Bei euch wurde nicht Infrastruktur und Telekommunikation systematisch lahmgelegt. Euer "faschistoides Bullenschweinestaatsystem" war in Wirklichkeit Plato's Utopia bei den Verhältnissen, die heute im Iran allgegenwärtig sind.

Nochmal: Die Demo 67 war richtig für die damalige Zeit. Bei den 68ern gings nicht nur ums freie Ficken. Nein. Ich spreche auch nicht gegen die 68er-Bewegung.

Ich spreche für die 20 Naseweise, die sich jetzt als Vertreter auserkoren haben und den Iranern weismachen wollen, dass sie sowas kennen. Das ist genauso absurd, wie wenn Sascha Lobo am Grab von den in Teheran getöteten Demo-Opfern einen Kranz für die deutsche Internetgemeinde niederlegen würde.


Sonntag, 5. Juli 2009

Über den Tod einer berühmten Person

Michael Jackson ist tot. Das nun schon seit einer geraumen Zeit. Mir persönlich ist es ziemlich egal und das überrascht mich. "Black or White" oder "Thriller" sind natürlich Meilensteine des Pop, der Titel "King Of Pop" ist wohl nicht ganz unverdient an Jackson vergeben worden. Dennoch lässt mich sein Tod ziemlich kalt.

Ich glaube zwar, dass es definitiv Menschen gibt, die diesen Titel genauso viel oder vielleicht sogar mehr verdient haben, aber Michael Jackson ist immerhin der bekannteste Popsänger des 20. Jahrhunderts.

Fernsehsender haben tagelang über fast nichts Anderes berichtet, Hitradiosender fühlen sich anscheinend auch noch knapp zwei Wochen nach dem Tod dazu verpflichtet, seine Greatest-Hits-Collection rauf und runter zu dudeln. Immer noch steht "Michael Jackson" bei Twitter in den trending topics, also den Themen, die zur Zeit die meisten Twitterer beschäftigen.

Dafür, dass Pop erst ca. 55-45 Jahre alt ist, erscheint es so, als sei alles im Pop gesagt. Viervierteltakt, Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Bridge, Refrain, Outro. Dazu noch einen mehr oder weniger seichten Text drüber legen und ein mehr oder weniger seichtes Musikvideo drehen und fertig ist der Popsong aus der Retorte. Wirkliche Innovationen gibt es im Pop einfach nicht mehr. Da muss man schon in die Randbereiche des Pops schauen, den Pop, der niemals im Radio gesendet wird: Indie Pop, Experimental Pop, Postpop, Avant-Pop, Jazzpop, Singer/Songwriter.

Die meisten Berichte über Michael Jackson bestanden (so würde ich das sagen) zu einem Prozent aus wirklichen Nachrichten, sprich neuen Kenntnissen über den Tod des Musikers.
Die restlichen Prozente verteilten sich dann auf Interviews mit Leuten, die Michael Jackson schon mal die Hand geschüttelt haben (beispielsweise Udo Walz oder der Schmonzettenpop-Sänger Ben sind dort negativ aufgefallen) oder Live-Berichten von Korrespondenten, die vor dem Krankenhaus stehen, wo Jackson starb oder halt vor seiner Neverland-Ranch.

Es gibt wenig Positives über Jackson's Tod zu berichten. Aber endlich hören die ganzen, unbewiesenen Lästereien und Vorurteile über ihn auf. Es war schließlich der King of Pop und nicht der King of Kinderpopping. Let me get this straight: Auch ich glaube an die Schuld von Jackson. Jackson, der anscheinend eine hundsmiserable Kindheit und Jugend hatte, hat anscheinend irgendwie eine Vorliebe zu kleinen Jungs. Das ist fürchterlich, aber hey, es! ist! nur! Spekulation! Es konnte ihm nie nachgewiesen werden. 1993 und 2005 stand er deswegen vor Gerichten und 1993 und 2005 wurde er in allen Anklagepunkten freigesprochen.

Auch bemerkenswert fand ich die Power seiner Fans. Stundenlanges Vor-Dem-Krankenhaus-Beten-Jubeln-Tanzen kennt man ja in etwa dieser Form von anderen legendären Toden: Kurt Cobain, Elvis, oder sei's nur der Papst. Aber das flashmob-artige Moonwalken am Tag nach Jackson's Tod (zum Beispiel in Wien, Köln oder Berlin, aber auch sonst überall auf der Welt) ist eine große Leistung.

Bereiten wir uns nun drauf vor, dass die Sorgerechts- und Erbes-Streitigkeiten live in der Fernsehanstalt Ihres Vertrauens ausdiskutiert werden (selbst die Öffentlich-Rechtlichen sind bei Jackson's Tod erstaunlich boulevardesk geworden) und dass Jackson's Schulden posthum auf einmal ganz klein werden, da es ja schließlich eine komische, aber nicht kleine Art von Menschen gibt, die Jackson's Alben in den Kaufhäusern und Amazon stürmen und sie so wochenlang auf Platz 1 platzieren.
Das ist natürlich bescheuert, aber hey, so ist das halt, wenn so einer wie Michael Jackson stirbt.

Samstag, 4. Juli 2009

Was passieren soll

Nun habe ich meinen Blog seit circa einem Tag. Ich habe ihn weder erkämpft noch gewonnen noch bekommen noch errungen, ich habe ihn einfach gemacht. "Create Your Blog In 3 Steps". Matthias Schuhmacher vom tollen Blog Die Erklaerung findet das laaaangweilig und setzt noch ein ! dahinter, um seine bloggertwodaymyblog-Müdigkeit zu unterstreichen.

Und er hat ja auch Recht! Ich finde es auch hochnotpeinlich, auf Blogger angewiesen zu sein, mit der starren Formatvorgabe, mit den altmodischen Layouts und Widgets. Aber ich bin kein Typ, der Geld für das Web 2.0 ausgibt, um sich so aus den starren Vorgaben zu befreien.

Dennoch hat mein Blog schon ein wenig Reputation erlangt. Zumindest auf Twitter (von dem übrigens Die Erklaerung glaubt, dass es in ist) haben mich ein paar User drauf angesprochen, dass der Sermon, den ich hier verzapfe, ganz ädaquat ist.

Interessanterweise ist mein Blog (oder zumindest die vier Artikel, die hier bereits stehen) ziemlich politisch ausgefallen. Ein Artikel beschäftigt sich mit Verhalten im Bundestag, ein anderer mit unverantwortlichem Marketing.

Ich möchte bloß nicht als altkluger politischer Kommentator daherkommen,
hoffentlich werde ich in Zukunft über andere Dinge schreiben.
Es ist für einen 16-Jährigen sicher nicht gut, über hochbrisante Themen zu schreiben.

Was soll schon passieren?
Das ist das Motto dieses Blogs. Was soll schon passieren?
Eine Frage, die man stellt, wenn andere Zweifel haben, kurz vorm Wandel doch noch Opfer der Torschlusspanik werden. "Was soll schon passieren?", fragt man diese dann und weckt Hoffnung, dass nichts passieren wird, dass nichts passieren kann.

Ist doch eigentlich ein gutes Zeichen für dieses Blog.
Achja: Die Frau im Header stammt vom Cover des elendig kitischigen Heimatfrauenromans "Der Sehnsucht ewiges Lied" von Walter Persich. Das Bild hab ich beim bloßen Googeln nach dem Wort "Kitsch" gefunden. In diesem Sinne...

Haribo's couragiertes Klassenzimmer

Haribo startet ein Gewinnspiel als Marketing-Aktion.
Das ist der Ausgangspunkt meines Artikels. Ich habe nichts gegen die Aktion, denn Haribo ist ein Unternehmen, was von der Hersteller-Kunden-Beziehung lebt und wie jedes andere Gewerbe veranstaltet es dann auch lockende Gewinnspiele - das ist legitim.

Wenn es jedoch in diese Schublade rutscht, wo etwas Untastbares in die Marketingmaschinerie geschubst wird, stößt es mir sauer auf
Die aktuelle Aktion(PDF) besteht daraus, dass eine Schulklasse eine Reise nach Paris gewinnen kann. In der Pressemitteilung von Haribo heißt es:
Verlost werden unter dem Motto „Das fliegende Klassenzimmer von…
HARIBO“ ein Ausflug nach Frankreich (20.11.2009 bis 22.11.2009) für
fünf Schulklassen mit der HARIBO GoldbAIR Boeing 737-800 der TUIfly.
Während des Fluges wird Thomas Gottschalk gemeinsam mit dem
HARIBO-Goldbären eine Unterrichtsstunde geben und lässt somit „Das
fliegende Klassenzimmer“ Wirklichkeit werden. Darüber hinaus stehen
die Besichtigung der HARIBO-Produktion und der Besuch des HARIBOMuseums
in Uzès sowie ein Ausflug zum Pont du Gard auf dem
Stundenplan. Die Reise gilt für die ganze Schulklasse des jeweiligen
Gewinners.
Dagegen habe ich nichts. Eine Reise nach Paris ist sicher interessant, die Unterrichtsstunde mit Thomas Gottschalk sicher spannend. Naja, die Besichtigung des Haribo-Museums und der Produktion von Haribo-Waren ist ziemlich bescheuert (da wollen wohl zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden). Aber das ist ja noch im Bereich des Ertragbaren.

Wo es mir dann zusetzt, ist der allerletzte Absatz der zweiseitigen Pressemitteilung:

Um die „Freude am Lesen mit HARIBO“ zu unterstützen, wird zusätzlich eine
HARIBO-Sonderedition (Auflage 150.000) „Das fliegende Klassenzimmer
von HARIBO“ in einem hochwertigen Schuber aufgelegt.
Okay, jetzt bin ich an dem Punkt angelangt, von dem ich gerade schrieb: Etwas Untastbares in die PR-Maschine stecken. Etwas Untastbares, was am Allerwenigsten in die PR gehört! Ein Klassiker von Erich Kästner, geschrieben am Ende der Weimarer Republik, wird neu aufgelegt von einer Firma, der es nicht um geförderten Lesespaß und (Was für ein Moralquatsch!) Zivilcourage geht
(Haribo möchte mit der Neuauflage nämlich tatsächlich eine Art von neuer Zivilcourage
etablieren, schließlich geht es in dem Buch auch um nix Anderes),
sondern es geht dem Unternehmen wie halt jedem Unternehmen um den Profit. Das liegt doch auf der Hand. Wie klingt das denn? "Freude am Lesen mit HARIBO"? Das klingt doch wie eingeflößte Markenabhängigkeit für junge Leser.

Ich wirke hier ein wenig links, kapitalismuskritisch. Aber so einer Definition will ich mich bloß nicht unterziehen. Ich hab ja auch nichts gegen die Aktion an sich. Zivilcourage und Lesemoral zu stärken, will ich wohl unterstützen, und wie! Aber doch nicht auf so eine Art und Weise!

Aber: Muss man da nicht auch differenzieren? Wo wird Literatur zur Marketingmasche und wo ist es noch akzeptabel? Schließlich haben große Tageszeitungen auch Anthologien von den besten Hörbüchern, Jugendbüchern und Weltliteratur herausgegeben (BILD, FAZ, Süddeutsche Zeitung...). Ist das denn besser als das Haribo-Marketing? Ich würde jetzt ja sagen. Aber warum? Keine Ahnung.

Das hariboeske "Fliegende Klassenzimmer" hat ja noch ein großes "Haribo"-Logo oben links auf dem Buchcover. Und falls die Auflage wirklich so limitiert ist, und die Auflage wirklich so wertvoll aufbereitet ist, dann wird doch die Familie, die sich eigentlich keine Bücher leisten kann, erst recht nicht dieses Buch kaufen.

Ich finde das Marketing von Haribo bezüglich der Neuauflage wirklich schlecht.
Große, deutsche Literatur sollte nicht als Spielball von Unternehmen wirken und das tut sie ja leider in diesem Fall.

Habt ihr andere Gedanken zu diesem Thema? Dann kommentiert diesen Artikel und wenn ihr wollt, können wir ja ein wenig diskutieren.

Freitag, 3. Juli 2009

Ina kracht

Gibt es Anarchie im Fernsehen? Wenn ja, wo?
Wenn man sich so auf YouTube umschaut, wird man feststellen, dass das Programm der damals jungen Privatsender in den 80ern und frühen 90ern reine Anarchie war. Man traute sich alles und wagte sich daran, das für Privatanbieter neue Medium Fernsehen auszutesten und die Grenzen abzuschreiten. Nach dem Motto:
Wo ist es noch massenkompatibel, und wo stößt es schon an?

Dann gab es eine kurze Zeit die famose Talkshow TALK2000 mit dem Aktionskünstler Christoph Schlingensief. Keine Struktur, kein Thema, Trash-Gäste, Prügeleien mit dem Publikum, verwackelte Kamerabilder. Die Sendung, die es natürlich nur auf eine beschissene Quote brachte, lief im Nachtprogramm bei VOX, war Kult und hatte ein Format, was so nie wieder erreicht wurde. War das echt? War das Fake? War das Satire? Anscheinend nicht. Schlingensief ging manchmal so rüde mit seinen Gästen um und stellte sie als derart dumm dar, dass eine Anzeige vom Gast oft der Normalfall war.
2000 kam die Chaos-Zeit auf den Musiksendern. Viva Zwei sendete die Low-Budget-Puppenkiste Zwobot, die daraus bestand, dass ein missmutiger Mikrofonschoner alles scheiße fand. MTV sendete Unter Ulmen, wo es Rubriken wie Der Aussenseiter gab. Zuschauer wurden die gesamte Sendung lang live gefilmt, wie sie einen Joghurt aßen und einsam in ihrer Stube hockten. Auch Christoph Schlingensief machte U3000 zum Knüller, eine Live-Show aus der Berliner U-Bahnen, wo Kuscheltiere direkt neben den Insassen enthauptet wurden und Stars entscheiden mussten, welche Familie das schlimmere Schicksal zu erleiden hat. Schlingensief trat als Prediger auf und die Gäste mussten immer wieder mit "Halleluja! HALLELUJA!!!" antworten. 2002 probierte Viva mit Freakstars3000 noch einmal Anarchie, als Schlingensief eine Talentshow mit Behinderten sendete, die ähnlich bizarr war. Fast alles, was ich hier beschrieb, lässt sich auf YouTube finden.

Dann gab es eine lange Zeit nichts Spektakuläres, Wildes.
Das Privatfernsehen hat an Krisen zu knabbern und die Öffentlich-Rechtlichen sind reformmüde geworden. Von ihnen hätte man nie erwartet, dass sie sich noch Innovation trauen würden.

Dass es gerade der NDR ist, der sich diese Innovation traut, hätte erst recht keiner geglaubt. Doch dann stellte der NDR 2007 das Format "Inas Nacht" ein. Der Inhalt dieser unkonventionellen Late-Night-Show ist eigentlich (eigentlich!!!) schnell beschrieben: Die Moderatorin Ina Müller besucht ihre Stammkneipe in Hamburg, trinkt ein wenig, plaudert mit Gästen, lädt sich gute Musiker ein, trinkt noch ein wenig, die Gäste dürfen dann auch Fragen an den Gast stellen, dann wird noch ein wenig getrunken, am Ende haben alle gute Laune.

Das Interessante an der Show ist, dass "Inas Nacht" weder provozieren will noch unterhalten. Die Show lebt einfach an der guten Laune von Ina Müller und ihrer Natürlichkeit. Man stelle sich das Format mal mit Anne Will vor - holla, die Waldfee! Das wär ein Griff ins Klo!

Das Format bekam auch den Deutschen Fernsehpreis und den hat es auch verdient! Ina Müller sprach in Ihrer Dankesrede davon, dass sie doch eigentlich gar nichts Großes macht. Sie geht aus, trinkt und tratscht und das sei es eigentlich gewesen. Aber es sind diese kleinen Nuancen, die die Show ausmachen. Die Gäste werden nicht bloßgestellt und auch nicht vertüdelt. Alle in der Show müssen natürlich sein. Und sie sind es. Die Atmosphäre lockert auf, auch vor den Bildschirmen.

Inas Nacht, von Freitag auf Samstag, 0.00 Uhr, NDR

Tauss, die Jugendkultur und die Grundrechte

Wir sind jung und machen uns Sorgen über unsere Chanchen auf dem Arbeitsmarkt, singt der tollle Musiker "PeterLicht" auf seinem Album Vierzehn Lieder aus dem Jahr 2001.
Die Zeile stimmt. Sie stimmte 2001 und auch 2009.

Mit der neuen Generation der sogenannten digital natives, also der Menschen, die sich im Net auskennen und (wenn man so will) sich auch der Macht bewusst sind, die sie damit ausüben können reift durch Begriffe wie Stasi 2.0, Zensursula ein neues Verständnis von Politik an. So könnte PeterLicht dann singen:

Wir sind jung und machen uns Sorgen über unsere Chanchen in der Politik.

Heute, am 3. Juli 2009, hielt das fraktionslose Mitglied des Bundestages, Jörg Tauss, eine Rede im Bundestag. Über Tauss' schlagzeilenträchtigen Wechsel von der SPD zur (von den digital natives hochgelobten) Piratenpartei mag man denken, was man will. Doch die Rede hat es in sich.

Er bezieht sich auf die Kontrollierwut der Union. Die CDU/CSU will nicht nur die stark umstrittene Netzsperre sowie Vorratsdatenspeicherung durchsetzen, sie macht sich auch für das Verbot von sogenannten Killerspielen und Paintball stark.

Tauss sagt: Die Union möchte alles ausschalten, was die heutige Jugendkultur ausmacht.
Ob er Recht mit dieser Aussage hat, möchte ich jetzt nicht genauer bewerten.
Ich möchte eher auf die Reaktion auf den Satz von Tauss eingehen.

Die Rede von Tauss fand großes Lob bei den digital natives. Schon nach ein paar Minuten war seine Rede, die live bei Phoenix übertragen wurde, bei YouTube zu finden. Und zwar hier.

Nach dem Satz ("Die Union möchte alles ausschalten, was die heutige Jugendkultur ausmacht.") ging Raunen, Gelächter und mitunter leises Buhen und Pfeifen durch den Bundestag. Dies ist ein armseliges Bild.

Natürlich könnte man jetzt sagen, Tauss hat schlichtweg Unrecht und die Union möchte nicht alles ausschalten, was ihrem konservativem Style schaden könnte.

Dennoch ist die Reaktion armselig. Sie zeigt, dass die Union nicht argumentativ auf Tauss eingeht (stumpfes "Lasst-den-doch-Quatsch-labern"-Ignoriere nützt gar nichts, sieht man auch bei NPD etc.), sondern schnell die Keule mit den Totschlagargumenten rausholt.

Die Sprecherin nach Tauss, sie war von der CDU, sagte fast nichts zur Rede ihres Vorgängers.
Um sie nicht unnötig aufzuwerten, sagte sie.


Verbindungsaufbau

Wenn ich mir anschaue, was für einen Boom die Blogwelt (hippe Menschen sprechen ja von der Blogosphäre, ein Wort, welches die Gemeinschaft der Blogger als eigene Kultur kennzeichnen will) in den letzten Jahren erlebt hat, mutet es bizarr an, dass ich nun auch über so ein Blog verfüge.

Blubb. Seit dem Tod der New Economy, so um 2000, liegt das Web 1.0 in den Todeswehen. Man überlässt sein Glück nicht mehr in Andere, sondern gestaltet selber mit. Soziale Netzwerke, Online-Kaufhäuser, Creative Commons...

Die Gegenkultur in den 60er Jahren träumt von einem globalen Netzwerk, wo jeder und alles vereint ist: Avantgarde und Mainstream, Konservative und Liberale. Nazis und Naziklopper. Nun, etwa vier Dekaden später gibt es dieses globale Netzwerk, das Web 2.0. Wenn man will, kann man sich locker überwachen lasse. Was kaufe ich, wie finde ich es (Amazon)? Was mache ich jetzt gerade, was denke ich (Twitter)? Was ist meine Lieblingsmusik und wer ist mein Freund (Facebook)?

Ein freiwilliges Do-It-Yourself-CCTV.
Eine Stasi 2.0? Nein, wir sind nicht Schäuble.

Nun habe ich auch ein Blog. Ein Blog, etwas wo jeder und alles Gedanken speichern, publizieren, verknüpfen lassen kann. Meinungen, Texte, manchmal gedankenloses Geschreibsel, was die Breitband-Verbindungen verstopft.

Worüber soll dieses Blog handeln? Keine Ahnung. Ich lasse mir Zeit, werde nachdenken. Büßen? Womöglich auch. Wenn Kurt Cobain nicht so übergehyped wäre, könnte man hier auch noch ein Zitat von ihm anfügen. Das mache ich aber nicht.

Max L.